kleanthes
Verlag für Medizin und Prävention GmbH & Co. KG

Aktuelle Kinderschlafmedizin 2014

48 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich und Brasilien berichten in 23 Beiträgen über aktuelle Themen aus der Kinderschlafmedizin. Das Buch richtet sich an Kinderärzte, Kinderpsychologen und an alle weiteren Interessenten, die sich mit der Prävention, der Diagnostik und der Therapie von Schlafstörungen im Kindes- und Jugendalter befassen.
Auf dem Gebiet der Kinderschlafmedizin ist ein rasanter Wissenszuwachs zu verzeichnen. In den letzten 15 Jahren sind mehr als 7.300 Untersuchungen auf diesem Gebiet erschienen (Ekkehart Paditz, Dresden: Zur Geschichte der Kinderschlafmedizin).

Widmung

Das Buch ist Marianne E. Schläfke, der Nestorin der Kinderschlafmedizin in Deutschland und ehem. Leiterin der Abteilung für Angewandte Physiologie der Ruhr-Universität Bochum zum 75. Geburtstag gewidmet.

Gedächtnisbildung im Leichtschlafstadium S2

Die Speicherung und Verarbeitung von Gedächtnisinhalten erfolgt in bedeutendem Umfang im Schlaf. Dabei scheinen nicht nur der Tiefschlaf und der REM-Schlaf eine Rolle zu spielen.

Kerstin Hödlmoser und Manuel Schabus aus der Universität Salzburg konnten erstmals nachweisen, dass Intelligenzleistungen und die Häufigkeit von Schlafspindeln im EEG bei Kindern miteinander in Beziehung stehen.

Schlafspindeln treten überwiegend im Leichtschlaf auf. Die Häufigkeit der Schlafspindeln im EEG korrelierte bei 54 Schulkindern aus Salzburg im Alter von acht bis elf Jahren mit dem Intelligenzquotienten (HAWIK) sowie mit den Leistungen im Lesen, Rechnen und in der Rechtschreibung. Topografische Untersuchungen zeigen, dass das Gehirn im Schlaf bzgl. der Schlafspindeln insbesondere im Bereich des Frontalhirns besonders aktiv ist (Abb. 1).

Abb. 1 Topografie der Beziehungen zwischen Schlafspindeln, die besonders häufig im Leichtschlafstadium S2 auftreten, dem Intelligenzquotienten sowie Leistungen im Lesen, im Rechnen und in der Rechtschreibung bei 54 acht- bis elfjährigen Kindern aus Salzburg. Die Farben geben an, welche Korrelationskoeffizienten zwischen den Intelligenzleistungen und der Häufigkeit von Schlafspindeln gefunden wurden. © Kerstin Hödlmoser und Manuel Schabus, Universität Salzburg, © kleanthes Verlag für Medizin und Prävention, Dresden.

Im Zusammenhang mit weiteren Studien scheinen diese Ergebnisse darauf hinzuweisen, dass Merkmale aus dem Schlaf-EEG nicht nur biologisch-genetische Marker sind: Interventionsstudien zeigten, dass Schlafrestriktion mit verminderten kognitiven Leistungen verbunden ist sowie dass eine Steigerung der Schlafdauer mit einer Leistungssteigerung verbunden sein kann (Übersicht bei Lisa Matricciani, Australien; zit. im o.g. Beitrag von E. Paditz, Dresden).

Schlafdauer bei Kindern

Kinder aus Deutschland, Belgien und Schweden schlafen länger als Kinder aus Italien, Ungarn und Estland. Mittagsschlaf gibt es bei mehr als 50% der 3- bis 5-jährigen Kinder aus Indien und China, während in Großbritannien und Australien nur 10% der Kinder Mittagsschlaf machen. Wer tagsüber ein Schläfchen macht, scheint nachts weniger zu schlafen. Frank Kirchhoff aus Rostock fasste die Ergebnisse mehrerer Studien zu diesem Thema zusammen. Demnach behalten Migranten ihre Schlafgewohnheiten oft bei, wie Untersuchungen aus den USA zeigten.
Lisa Matricciani aus Australien wertete die Schlafdauer von 690.747 Kindern aus 20 Ländern aus. Kinder schliefen demnach im Mittel ca. 8,5 bis 9,5 Stunden pro Tag. Im 20. Jahrhundert hat die kindliche Schlafdauer nach diesen Untersuchungen aller 20 Jahre um 15 Minuten abgenommen.
Der Coburger Arzt Georg Grau, der in Jena studiert hatte, meinte schon 1688, das sieben Stunden Schlaf genug seien, dass individuell aber keine genaue Zahl angegeben werden könne sowie dass nicht mehr als neun und nicht weniger als sechs Stunden geschlafen werden solle. Kinder würden aber „öfter und länger“ schlafen und hätten ihre „besonderen Schlafstunden“. Er kam zu dem Schluss, dass der Schlaf „eine wirkliche Krafft und Nothwendigkeit sei“.

Mittagsruhe im Kindergarten?

Jüngere Kinder und Kinder, die nachts weniger als 10 Stunden schlafen, scheinen von der Mittagsruhe im Kindergarten zu profitieren. Für Kindergärten ergibt sich daraus die Empfehlung, dass die Möglichkeit zum Mittagsschlaf angeboten werden sollte. Für Kinder, die tagsüber nicht schlafen können, sollte die Möglichkeit bestehen, auf den Mittagsschlaf zu verzichten, ohne dass der Mittagsschlaf der anderen Kinder gestört wird (Frank Kirchhoff, Rostock).
Für Kinder in der ersten und zweiten Klasse ergeben sich dagegen anderslautende Empfehlungen, da in dieser Altersgruppe nur bei wenigen Kindern ein Bedarf für Mittagsschlaf besteht (Schlaf 3/2013, 140-142, E. Paditz: Mittagsruhe für Grundschüler?).

Schlafstörungen erkennen und behandeln

Medienkonsum (TV, PC) und der Konsum psychotroper Substanzen – insbes. auch das Binge-Trinken – korrelieren mit dem Ausmaß von Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen (Renate Marx-Mollière, Mainz). Die Häufigkeit von kindlichen Straßenverkehrsunfällen mit dem Fahrrad scheint ebenfalls mit Schlafstörungen in Verbindung zu stehen (Uwe Richter, Wien).
Chronobiologische Rhythmen werden durch Zeitgeber-Gene (Clock Genes) gesteuert. Diese Rhythmen können bei ADHS gestört sein (Alexander Dück, Johannes Buchmann, Katja Wunsch, Johannes Thome, Christoph Berger und Frank Häßler, Rostock).
Nichterholsamer Schlaf kann zu Tagesmüdigkeit führen, die über Vigilanzmessungen erfasst werden kann. Roland Popp aus Regensburg gibt einen kritischen und aktuellen Überblick über neun diagnostische Testverfahren.
Dietmar Langer aus Gelsenkirchen schildert, wie chronische Ein-und Durchschlafstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern unter stationären Bedingungen behandelt werden können, nachdem ambulante Behandlungsversuche versagt haben.

Obstruktive Schlafapnoe bei Kindern mit adenotonsillärer Hypertrophie sowie bei Down-Syndrom

Vergrößerte Rachen- und Gaumenmandeln können im Rahmen obstruktiver Schlafapnoen und –hypopnoen mit Störungen der Blutdruckregulation verbunden sein, die nach Adenotomie und/oder Adenotonsillektomie rückläufig sind (Silke A. Weber, Victor Rosé Barbosa dos Santos, Graziela Oliveria Semenzati, Luis Cuadrado Martin, Botucatu/Brasilien). Die Autoren untersuchten 26 Kinder im Kinderschlaflabor inkl. einer Langzeitblutdruckmessung. Demnach können obstruktive Apnoen und Hypopnoen mit einem nach der Behandlung reversiblen fehlenden Dipping im Schlaf verbunden sein (= fehlende Blutdruckabsenkung im Schlaf).
Der Vergleich von 8 Kindern mit Down-Syndrom und 24 Kindern ohne Down-Syndrom zeigte, dass Kinder mit Down-Syndrom ein 8,3-fach erhöhtes Risiko für ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom haben (Nora Hofer, Andreas Pfleger, Marie Haussegger, Jasmin Pansy, Adelheid Gautsch-Kofler, Ulrike Wanz, Werner Sauseng, Heinz Zotter, Graz).
In Tübingen wurden weitere 51 Kinder mit Down-Syndrom untersucht. 27 (53%) zeigten obstruktive Apnoen im Schlaf (OSA). Da die modifizierte mundmotorische Stimulationsplatte nach Castillo-Morales bei sieben Kindern keinen ausreichende Effekt zeigte, wurden diese mit der sogenannten Tübinger Platte behandelt. Mit dieser Gaumenplatte werden die Zunge und der Unterkiefer nach vorn gedrückt. Darunter verschwanden die OSA bei allen derartig behandelten Kindern (Silvia Müller-Hagedorn, Annette Linz, Margit Bacher, Michael Urschitz, Wolfgang Buchenau, Christian Poets, Tübingen).
Dorit Aschmann aus München berichtet über ein fünfjähriges ehemaliges Frühgeborenes, dass unter der Behandlung mit Wachstumshormon ein obstruktives Schlafapnoesyndrom entwickelte. Unter nasaler CPAP-Therapie normalisierte sich der Schlaf, nachdem vorher eine Adenotonsillotomie ohne Effekt war (Dorit Aschmann, Walter Bonfig, Stefan Tauber, Jochen Peters,München). Bei einem knapp achtjährigen Jungen mit Entwicklungsverzögerung und muskulärer Hypotonie verbesserte sich die schlafbezogene Atmungsstörung durch konsequente Seitenlagerung im Schlaf (Dorit Aschmann, Steffen Leiz, Matthias Frerick, Jochen Peters, München).
Johannes G. Limbrock aus München berichtet über den ganzheitlich orientierten therapeutischen Zugang zu Kindern mit Tonus-Störungen und mangelnder Koordination der Mund- und Schlundmotrik (orofaziale Therapie im Castillo-Morales®-Konzept). Zu diesem Thema ist kürzlich ein umfassendes Buch erschienen (Türk, C. et al.: Das Castillo Morales-Konzept. Thieme, Stuttgart 2012).

Update Sicherer Babyschlaf

Die Prävention des plötzlichen Säuglingstodes bleibt eine langfristige Herausforderung, bei der möglichst alle Bevölkerungsgruppen erreicht werden sollten. Aktuelle Fakten zu diesem Thema werden im Beitrag von Werner Sauseng, Nora Hofer, Jasmin Pansy, Heinz Zotter und Reinhold Kerbl aus Graz bzw. Leoben vorgestellt. Umfangreiche weitergehende Informationen dazu finden sich in Kurz, R. et al.: Der plötzliche Säuglingstod. Grundlagen- Risikofaktoren –Prävention – Elternberatung. 2. Aufl., Springer, Wien, Heidelberg 2014.

Schlafgebundene Epilepsien und Atmungsstörungen im Schlaf bei Kardiomyopathie

Die Mutter eines fünfjährigen Jungen mit restriktiver Kardiomyopathie berichtete über einen Wechsel von Atempausen und vertiefter Atmung im Schlaf. Polysomnografisch fand sich eine asugeprägte Cheyne-Stokes´sche Atmung (Abb. 2).

Abb. 2 Cheyne-Stokes´sche Atmung im Schlaf bei einem fünfjährigen Jungen mit Kardiomyopathie.

© Frank Stemberg, Klinikum Worms, © kleanthes Verlag für Medizin und Prävention, Dresden

Bei mehreren Epilepsie-Syndromen können trotz gut eingestellter antiepileptischer Therapie schlafgebundene Krampfanfälle auftreten (West-Syndrom, ESES, Mowat-Wilson-Syndrom u.a.). Schlafmedizinische Expertise und Kenntnisse aus der Chronobiologie sollten deshalb auch bei der Behandlung kindlicher Epilepsien einbezogen werden (Bastian Baumgartner, München).
Ein elfjähriges Mädchen zeigte tagsüber Panikattacken und anfallsartige Zustände ohne Bewusstseinsverlust, die zunächst als Depression, Überängstlichkeit und als dissoziative Anfälle interpretiert wurden. Polysomnografisch wurde dann eine Frontallappenepilepsie erfasst, die im weiteren Verlauf bestätigt wurde (Anja Schmidt, Berlin).
Spät einsetzende zentrale Hypoventilationssyndrome (late onset CHS, ROHHAD –Rapid onset Obesity with Hypothalamic Dysregulation, Hypoventilation and Autonomic Dysregulation) unterscheiden sich nach neueren Erkenntnissen relativ klar von klassischen, schon zur Geburt manifest werdenden CHS. Hierbei liegt eine hypothalamische Fehlfunktion vor, die neben der Störung des Atemantriebs mit rascher Gewichtszunahme und Verhaltensstörungen verbunden sein kann. Da erhöhte Orexinspiegel im Liquor gefunden wurden sowie da gleichzeitig Neuroblastome auftreten können, wird diskutiert, ob es sich bei dieser Erkrankung um eine Autoimmun-und/oder paraneoplastische Erkrankung handelt. Daraus ergeben sich möglicherweise neue therapeutische Ansätze, wenn die Erkrankung frühzeitig erkannt wird (Matthias Frerick, München).

Frühzeitige Erkennung asthmatischer Beschwerden im Schlaf

Asthmatische Beschwerden wie Husten und Wheezing (pfeifendes hochfrequentes Atemgeräusch) können im Sinne eines „Langzeitstethoskops“mit bioakustischen Sensoren erfasst werden (Abb.3). Ulrich Koehler, Andreas Weissflog, Keywan Schrabi und Volker Grosse aus Marburg und Gießen berichten über erste Erfahrungen mit dem zugehörigen Monitor LEOSound (Abb. 3).

Abb. 3 LEOSound: nichtinvasive kontinuierliche Messung von Atemgeräuschen

Weiterbildung auf dem Gebiet der Kinderschlafmedizin

In Deutschland haben bisher 209 Ärztinnen und Ärzte die Weiterbildungsbefugnis für die Zusatzweiterbildung Schlafmedizin erworben. Dazu gehören auch 10 Kinderärzte aus fünf Bundesländern (Frank Kirchhoff, Rostock). Das Internet trägt deutlich zur Bekanntmachung aktueller Kenntnisse auf dem Gebiet der Kinderschlafmedizin bei. Das Jahrbuch „Aktuelle Kinderschlafmedizin 2012“ erreichte z.B. eine Internetresponse bis zu 83.900 Treffern (Ekkehart Paditz, Dresden).

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